von Beat Döbeli Honegger (2017) gelesen im September 2021 Themenbereich Medien und Informatik

1 Warum die ganze Aufregung?

Was heisst “Digitalisierung”?

Unter Digitalisierung wird meist die Tatsache verstanden, dass analoge Daten in die digitale Form umgewandelt werden. Daten, die vorher mit verschieden Geräten verarbeitet werden mussten, können heute auf einem Gerät, dem Computer, gespeichert werden. Dabei werden sie in eine gemeinsame Sprache bestehend aus 0 und 1 übersetzt. Digitalisierung bedeutet aber mehr: Die auf dem Computer gespeicherten Daten können auch leicht automatisiert und verbreitet werden.

Risiken für den Arbeitsmarkt

Die Entwicklung der Digitalisierung geht rasant. [[Alle anderthalb Jahre lassen sich doppelt so viele Transistoren auf der gleichen Fläche unterbringen.]] Eine solch exponentielle Entwicklung birgt Risiken. Die Arbeitswelt wird sich möglicherweise komplett verändern. [[Klaus Haefner]] hat das bereits 1982 beschrieben und in drei Berufsgruppen unterschieden: [[Autonome (ohne Computereinfluss), Substituierbare (durch Automatisierung überflüssig gemachte) und Unberechenbare (nicht durch Berechnung ersetzbare).]] Auch die globale Vernetzung, die [[Globalisierung 3.0]] kann kritisch angesehen werden. Wenn Arbeitsplätze an einem beliebigen Ort sein können, sind sie möglicherweise auch leichter ersetzbar.

Risiken für den Wohlstand

Das Gefälle in der Gesellschaft wird immer grösser. Wer Geld hat, kann in Automationen investieren. Berufe mit mittlerem Anspruch, die oft repetitiven Charakter haben, können leicht automatisiert werden. Konsequenzen dieser Entwicklung könnten neue Wirtschaftsmodelle wie [[bedingungsloses Grundeinkommen]] oder [[negative Einkommenssteuern]] sein.

Kontrollverlust

Die Möglichkeit, grosse Mengen an Daten schnell zu bewegen - und zu sammeln - führt zu einem Kontrollverlust. Staaten fällt es leicht, ihre Bürger:innen auf Vorrat auszuspionieren und Unternehmen erstellen umfassende Profile ihrer Kund:innen. Aber die Staaten und Unternehmen beginnen auch, Individuen zu fürchten (Whistleblower wie [[Edward Snowden]] oder unzufrieden Kund:innen auf Social Media). [[Einige Simmen sprechen von einem Zeitalter der “post privacy”]]. Die Gefahr von dieser Haltung ist, wie in [[Benthams Panopticum]], dass Menschen sich nicht mal mehr im Privaten trauen, ihre Meinung zu äussern. Auch das Verhältnis von Staaten zu Unternehmen hat sich verändert. Firmen nutzen die Globalisierung, um Steuern zu sparen und die für sie besten Rahmenbedingungen zu erreichen. Staaten begünstigen mit Spionage “eigene” Unternehmen.

Auswirkung auf Handeln und Denken

Im Moment findet nichts weniger als ein Leitmedienwechsel statt. Das verändert das Handeln und Denken, wie auch bereits frühere Leitmedienwechsel das Handeln und Denken verändert haben. Die Sucht, alles zu kontrollieren und zu messen, erhöht sich zunehmend. Es besteht die Gefahr, dass nur noch das Messbare zählt. Die Frage für die Schule ist nicht, wie man Computer einsetzt, sondern welche Herausforderungen sie mit sich bringen.

2 Wie soll die Schule auf den Leitmedienwechsel reagieren?

In der Diskussion, wie mit dem Leitmedienwechsel in der Schule umgegangen werden soll, gibt es eine grosse Fülle von verschiedenen Positionen. [[Beat Döbeli Honegger]] teilt die verschiedenen Position in einer Skala von -1 bis 6 ein. Dabei sind an den Rändern die extremen Position der Ablehnung / Leugnung des Leitmedienwechsels (-1) und die Aussage, [[dass es in einer posthumanistischen Welt, in der die künstliche der menschlichen Intelligenz überlegen ist, keine Bildung mehr braucht.]] Die bei uns meist verbreitete und auch im [[Lehrplan 21]] vertretene Position ist die Haltung, dass die neuen Medien sowohl fächerübergreifend als auch als eigenes Fach in die Schule integriert werden soll.

3 Welche Allgemeinbildung wird im Leitmedienwechsel benötigt?

Der Leitmedienwechsel verändert die Gesellschaft: Die Kinder werden anders sozialisiert, die Berufswelt verändert sich. Die Schule hat nicht mehr die Rolle des alleinigen Wissensvermittlers, heute haben die Schüler:innen fast das gesamte Wissen in ihrer Hosentasche. Die Kinder müssen lernen, sich in dieser schnellebigen und informationsreichen Welt zu bewegen und benötigen dafür neue Werkzeuge und Kompetenzen. Die Aufgabe der Schule heute ist es, das richtige Grundwissen aufzubauen, damit die Kinder diese Kompetenzen nutzen können. Neben diesem Basiswissen soll sie Kreativität fördern (das [[Nichtautomatisierbare]], zum eigenen (lebenslangen) Lernen anregen und die Fähigkeit mit anderen zu kommunizieren aufbauen (mit verschiedenen Medien das wesentliche präsentieren).

4 Warum gehört das Digitale in die Schule?

Der Platz des Digitalen in der Schule wird meist mit den folgenden vier Argumenten untermauert:

Lernargument

Die höhere Fülle an Möglichkeiten des Digitalen bietet ein enormes Lernpotential. Sei es die Mehrzahl an Werkzeugen und Methoden, die Kollaborations-, Kommunikations und Publikationsmöglichkeiten oder auch die Einfachheit, mit der ansprechende multimediale Inhalte erstellt werden können. Auch der Einsatz von Lernprogrammen wird positiv hervorgehoben: Es kann individueller auf die Lernenden eingegangen werden und direktere, objektivere Rückmeldungen werden möglich. Die Wissenschaft ist sich jedoch unschlüssig, ob das Lernen mit digitalen Medien wirklich lernförderlich ist. [[Besonders Metastudien zeigen, dass der Effekt sehr gering ist]]. Letztendlich kommt es aber wohl vor allem darauf an, wie die Lehrperson verschiedene Medien und Methoden kombiniert und einsetzt.

Lebensweltargument

Die Schule hat die Aufgabe, die Kinder in ihrer Lebenswelt abzuholen und auf ihre Zukunft vorzubereiten. Sie kann die Vorerfahrungen als Ressource nutzen. Auch die Reflektion der Erfahrungen und Fähigkeiten ist zentral, denn [[viele Kinder / Jugendliche nutzen die Medien nur sehr oberflächlich]].

Zukunftsargument

Der Umgang mit digitalen Medien ist heute eine Kulturtechnik wie Lesen und Rechnen. Es reicht nicht, diese Kompetenzen erst nach der obligatorischen Schulzeit auszubilden, denn sie benötigen (wie auch Sprache und Mathematik) einen längeren curricularen Aufbau.

Effizienzargument

Dieses Argument stellt nicht die Lernenden in den Mittelpunkt, sondern die Schule. Die Arbeit mit digitalen Medien erhöht die Effizienz, damit kann die Schule Zeit sparen und Gewinnt an Ressourcen. Diese [[zusätzliche Lernzeit kommt der Unterrichtsqualität zugute]].

5 Welche Aspekte des Digitalen sind für die Allgemeinbildung relevant?

Digitale Medien können im Unterricht auf drei Arten vorkommen: als Werkzeuge (Unterrichten mit Medien), als Thema (Unterrichten über Medien) und als Ablenkung (Unterrichten trotz Medien).

Einbettung im Unterricht

Dass digitalen Medien im Unterricht behandelt werden sollen gilt weitestgehend als unbestritten und es gab in den letzten Jahrzehnten verschiedenste Bezeichnungen dafür (z.B. Medienkunde, Medienkompetenz, etc…). Die Unterrichtsinhalte lassen sich dabei in die drei Bereiche Medien, Informatik und Anwendung unterteilen, wobei sich im Unterrichtsalltag diese drei Bereich oft überlappen und ergänzen.

Anwendungskompetenz

Das Unterrichten von Anwendungskompetenzen ist anspruchsvoll, da sich Hard- und Software sehr schnell wandeln. Was sich jedoch nicht ändert, sind die Bedienkonzepte z.B. einer Textverarbeitung. Deshalb soll der Fokus vor allem auf diese Konzepte gelegt werden.

Medienbildung

Medien sind so allgegenwärtig, dass wir sie nicht nur benutzen können sollen, sondern uns auch Gedanken zu Wirkungen und Mechanismen hinter den Medien machen müssen. Themen wie Datenschutz, Privatsphäre, Jugendschutz etc. sind wichtige Themen, derer sich die Schule unbedingt annehmen soll.

Informatik

Mit der Informatik gewinnen die Schüler:innen das nötige Grundlagenwissen für die anderen beiden Bereiche. Jedoch ist die Informatik vielen Personen inner- und ausserhalb des Bildungsbereichs nicht sehr nah und wird deshalb auch gerne vernachlässigt.

6 Wozu Informatik?

Die Definition von Informatik kann sehr unterschiedlich sein. Es sind jedoch alle mit der folgenden allgemeinen Definition einverstanden:

Informatik ist die Wissenschaft der strukturierten und automatischen Informationsverarbeitung.

Die Informatik hat erst mal nichts mit Computern zu tun, sie können aber als Hilfsmittel eingesetzt werden.

In der Informatik geht es genau so wenig um Computer wie in der Astronomie um Teleskope. - [[Edsger Dijkstra]]

^9ef8c6

Es gibt viele [[Argumente für Informatik]], von der didaktischen Begründung über die Idee, durch Informatik die Welt besser zu verstehen zu überfachlichen Argumenten bis zur Perspektive der Berufsvorbereitung. Häufig wird angezweifelt, ob Informatik in der Primarschule stufengerecht gelehrt werden kann. Dabei lässt sie sich sehr realitätsnah und be-greifbar vermitteln, sogar ohne Computer (siehe [[Mehr als 0 und 1#^b9b8cb | Weiterführende Quellen]])

7 Wie kommt das Digitale in die Schule?

Seit bald 40 Jahren wird ie Digitalisierung der Schule gefordert. Viele Schulen sind zwar inzwischen technisch gut ausgerüstet, trotzdem haben die digitalen Medien den Einzug in die Schule noch nicht geschafft. Damit dies gelingt, müssen die Lehrpersonen auch bereit sein, diese Medien in ihren Unterricht einzubinden.

Das WWW-Modell (Will-Skill-Tool)

Nur Lehrpersonen, die vom Nutzen digitaler Medien für ihren Unterricht überzeugt sind, haben auch den WILLEN diese einzusetzen. Die Lehrpersonen müssen auch das nötige technische und didaktische WISSEN haben und zu guter letzt müssen genug Ressourcen (WERKZEUG) vorhanden sein, damit die Integration gelingt.

Das Innovationsmodell

Bei der Einführung neuer Technologien ist es unterschiedlich, wie Menschen darauf reagieren. Es gibt die Innovators, die gerne neues ausprobieren und die Early Adopters, die diese Ideen gerne aufnehmen und im Unterricht einsetzen. Der grosse Mehrheit der Lehrpersonen gehört zur Early Majority (“Versuchen wir!”) oder zur Late Majority (“Nein, weil…”). Diese Gruppe ist bereits schwieriger von neuen Technologien zu überzeugen. Die anspruchsvollste Gruppe jedoch sind die Skeptiker, die Laggards. Man möchte sie einerseits möglichst zum Schweigen bringen, andererseits sind sie aber auch wichtig, weil sie Schwächen der Neuerungen aufzeigen können.

Das Phasenmodell der organisationalen Lernkurve

Dieses Modell erklärt der Lernzuwachs bei der Einführung neuer Technologien. Die Kurve verläuft S-Förmig durch die Phasen Initialisierung, Ansteckung, Steuerung und Institutionalisierung. Pilotprojekte können zwar gut verlaufen, dies garantiert aber noch lange nicht eine erfolgreiche Einführung, denn bei einer flächendeckenden Einführung müssen auch die Mehrheit und die Skeptiker überzeugt werden.

8 Wie viele Computer braucht es in der Schule?

Als Schulen neu mit Informationstechnologie ausgestattet wurde, verlief das sehr unkoordiniert. Immer wieder kamen neue Bestandteile dazu und das System wurde immer komplexer, obwohl den Schulen das strategische und organisatorische Know-How fehlte. Noch heute gibt es um Kosten und Organisation von Support an Schulen Diskussionen. Heute ist aber für alle klar, dass eine rasch verfügbare und gut funktionierende Infrastruktur wichtig ist. Dabei gelten andere Anforderungen als in der Wirtschaft: Schulen nutzen viel verschiedene Software und die Geräte werden zu den gleichen Zeiten intensiv eingesetzt (Spitzen in der Netzauslastung).

1:1-Ausstattung

Bereits in den Achtzigerjahren forderte [[Klaus Haefner]] eine 1:1-Ausstattung. [[Diese Schwelle ist eine Metapher dafür, dass Technologie wirklich alltäglich ist]]. In den westlichen, “reichen” Ländern sind wir erst jetzt langsam so weit, dass dieses Ziel erreicht werden kann.

Bring your own device

Eine Möglichkeit, eine 1:1-Ausstattung zu erreichen, ist der reine oder teilweise Einsatz von “Bring your own”-Geräten (BYOD). Neben der finanziellen Einsparung gibt es noch weitere Argumente für BYOD: Mit BYOD muss die Schule keine Geräte anschaffen und leistet dabei einen Beitrag zum Umweltschutz. Die Schule muss sich nicht auf ein Modell / System einigen, sondern jede:r Schüler:in kann diese Entscheidung für sich selber treffen.

9 Wie sieht die Zukunft von Schulbüchern aus?

10 Mehr als 0 und 1


Fragen

  • Welche Position habe ich eigentlich, wenn es um den Leitmedienwechsel in der Schule geht?
  • Wie kann ich Lehrpersonen begegnen, die verweigern?

Weiterführende Quellen

  • David Harel: Das Affenpuzzle
  • Computer Science Unplugged

24.09